piątek, 28 czerwca 2013

"Baby Revolution": Es ist was los in Bosnia* 
(coś dla naszych niemieckojęzycznych druhów)

Anfang Juni begannen die Demonstrationen vor dem Parlament von Bosnien-Herzegowina (BiH). Der Grund war nicht die hohe Arbeitslosigkeit, Steuererhöhungen, die Schließung von Fabriken oder die Gleichberechtigung von Partnerschaften. Nein, der Auslöser ist ein anderer. Es geht um die Personennummer, die jede Person von Geburt an bekommen sollte (ähnlich der Sozialversicherungsnummer in Deutschland). Sollte. Denn das passiert seit einem halben Jahr nicht mehr in BiH. Christoph Schneider, SHL-Freiwilliger in Sarajevo, berichtet von den Protesten.
Im Februar wurde das Gesetz zur Vergabe einheitlicher Personennummern in ganz BiH ungültig, nachdem das Verfassungsgericht Unstimmigkeiten mit der Verfassung festgestellt hatte. Der Ministerrat von BiH, bestehend aus den Vertretern der zwei Landesteile (Föderation und Republika Srpska), haben sich bis dato noch nicht auf ein neues Gesetz einigen können. Der Vorschlag der Republika Srpska (RS) sah vor, dass in der Personennummer eine unterschiedliche Zahl in der RS, der Förderation und eine im Brčko-Distrikt verwendet wird, um somit die Unterteilung in Entitäten sichtbar zu machen. Die Politiker der Parteien aus der Föderation waren damit nicht einverstanden. Sie wollten eine einheitliche Ziffer für ganz BiH und unterschiedliche Ziffern für Regionen, aber nicht getrennt nach Entitäten. Als Reaktion hat die RS ihre eigenen Personennummern bereits eingeführt, aber Neugeborene in der Föderation existieren weiterhin nicht auf dem Papier. Damit wurde eine gesamtstaatliche Aufgabe auf die Ebene der Entitäten zwangsweise abgegeben.
Geht es nur um eine Nummer? Nein. Das Problem ist ernst, denn für Kinder, die seit Februar geboren wurden, kann ohne Personennummer kein Reisepass beantragt werden. Damit ist eine Reise ins Ausland nicht möglich, und vor allem können die Kinder nicht über das staatliche Gesundheitssystem behandelt werden.
Die Situation würde wahrscheinlich einfach so weitergehen, der Ministerrat würde sich ab und zu treffen und weiterhin nichts entscheiden, wäre nicht Belmina Ibrišević. Belmina ist drei Monate alt, hat Leukämie und benötigt eine Knochenmarktransplantation. Die kann sie in BiH leider nicht bekommen. Ein Termin in Deutschland ist bereits gemacht, ein Spender gefunden, aber Belmina kann ohne Reisepass nicht ausreisen und diesen bekommt sie nicht ohne Personennummer. Die Eltern von Belmina haben in ihrer Hilflosigkeit entschlossen, Unterstützung in der Öffentlichkeit zu suchen.
Bereits am Tag (5. Juni), als die Infos in den Medien erschienen sind, hat eine Gruppe junger Menschen aus Sarajevo als Protest die Ausfahrt aus der Tiefgarage unter dem Parlament blockiert. Am selben Abend kam eine Pressesprecherin und verkündete, dass eine Lösung gefunden wurde und ab morgen Kinder ihre Personennummern bekommen können –  allerdings nur als zwischenzeitliche Lösung für die nächsten sechs Monate. Die Demonstranten gaben sich damit aber nicht zufrieden und haben die gesamte Nacht über die Garage mit ihren Autos blockiert. Am Morgen gingen die Eltern von Belmina zur Gemeinde, um endlich die Personennummer zu bekommen. Von der zwischenzeitlichen Regelung wusste dort niemand und die Nummer konnte weiterhin nicht ausgegeben werden.
Am Donnerstag (6. Juni) haben sich seit dem Morgen immer mehr Personen vor dem Parlament versammelt, größtenteils junge Menschen, viele davon mit ihren Kindern, die teilweise selbst betroffen sind. Gegen 14:00 waren es bereits so viele Demonstranten, dass alle Eingänge blockiert werden konnten, indem eine Menschenkette um das Gebäude gebildet wurde. Die Personen, die aus dem Gebäude hinaus wollten, wurden mit lauten Rufen zurückgewiesen: „Zurück an die Arbeit“. Die Aussage war eindeutig. Macht eure Arbeit und ihr könnt nach Hause. Viele der Krawattenträger gingen selbstbewusst in Richtung der Demonstranten, um kurze Zeit später mit hängenden Köpfen zurück zu kehren. Einige Politiker versuchten durch Fenster zu flüchten, obwohl ihnen nichts gedroht hat, außer ihrer normalen Arbeit. Nachmittags haben sich bereits ca. 3000 Demonstranten versammelt, vollkommen friedlich, aber konsequent: Keiner kommt aus dem Parlament, solange die Angelegenheit nicht gelöst ist.
Die Regierung hat alle möglichen Polizeieinheiten zu Hilfe geholt. Nur haben sie nichts gemacht und damit die Demonstranten unterstützt, aber nicht die Regierung beim Verlassen des Gebäudes. Vor Ort waren alle großen Medien des Landes vertreten und haben aktuelle Informationen direkt übertragen. Ein Journalist interviewte eine Frau mit einem Kleinkind im Arm. Das sei ihre Enkeltochter, die Eltern arbeiteten im Ausland und seien zur Geburt nach BiH gekommen. Nur ausreisen konnten sie nicht mit ihrem Kind, da es keinen Ausweis bekommen konnte. So kümmert sich jetzt die Großmutter in Abwesenheit der Eltern um den Zögling.
Gegen 18:30 wurden Vertreter der Demonstranten zum Gespräch gebeten. Sie haben in Erfahrungen gebracht, dass es erstens heute keine Entscheidung geben wird, da im Parlament keine Beschlussfähigkeit hergestellt werden kann (die Forderungen der Demonstranten wurden bereits am Vormittag schriftlich zugestellt) und die Demonstration sich sofort auflösen soll, da ansonsten die Personen über Kameras identifiziert und verurteilt werden. Die Demonstranten wurden über die Gespräche informiert und waren damit nicht einverstanden und somit wurden weiterhin die Eingänge blockiert.
Gegen 4:00 Uhr morgens als nur noch wenige Demonstranten vor Ort waren, verließen alle Personen das Parlament durch einen Polizeikorridor. Es waren insgesamt ca. 800 Personen im Haus, darunter 250 Ausländer, die zu einer Konferenz des Europäischen Fonds für Südosteuropa angereist waren. Auch wenn die Vertreter der europäischen Institutionen wenig an der Verantwortlichkeit der lokalen Politiker ändern können, haben sie direkt die Probleme der Einwohner zu spüren bekommen und die Unfähigkeit der Regierung gesehen. Ihr Verständnis war größtenteils auf Seiten der Bürger.
Am nächsten Tag wurden Personen befragt, die im Parlament gewesen sind. Da war von „Geiselnahme“ und „Freiheitsentzug“ die Rede, Gefängnisstrafe von 3-5 Jahren wurde gefordert. Die Demonstranten haben die Freiheitsrechte verletzt, sie waren an ihrer freien Bewegung gehindert, hungrig und durstig (Polizisten haben mehrmals Essen ins Gebäude gebracht und das Leitungswasser in Sarajevo ist trinkbar). Glücklicherweise hat ein Großteil der Gäste den angestauten Frust der Bürger/innen verstanden, dass so eine einfache Sache politisiert werden muss. Gemmy Ferst, die im Gebäude gewesen ist, hat über Twitter veröffentlicht, dass sie zu Sitzungen in instabilen Ländern nicht ohne vorbereitete geschmierte Brote kommt.
Im Fernsehen der RS (RTRS) waren andere Töne zu hören. Die Parlamentarier der RS seien bewusst nicht hinausgelassen worden, während Politiker aus der Föderation problemlos das Gebäude hätten verlassen können, da die „Aktion“ politisch motiviert sei. Es war von einer Krise und Angriff auf die Politiker der RS die Rede, von gefährlichen und aggressiven Demonstranten, initiiert und manipuliert durch nationalistische „bosnjakische“ Kräfte und die Nichtregierungsorganisationen. Die Sicherheit der Vertreter der RS in der gemeinsamen Institution BiH sei gefährdet, eine weitere Teilnahme werde in Frage gestellt. Keine Info über junge Mütter mit ihren Kindern und die politische Unfähigkeit. Diese Info ging an die Zuschauer von RTRS am nächsten Tag. Kein Wunder, dass die Bürger von BiH in mindestens zwei Welten leben. Die Medien aus Sarajevo haben sofort darauf reagiert und von großen Protesten in Banja Luka gesprochen, ohne eine Zahl der Demonstranten und Bilder dazu zu liefern. Der politische Krieg ging in den Medien weiter. Besser war bedient, wer AlJazeeraBalkans bemüht hat. Dort gab es fundiert und informativ eine Zusammenfassung mit Hintergründen und Reaktionen. 
In der vergangenen Woche fanden am Dienstag wieder groß angekündigte Demonstrationen statt, denen auch Rentner, Arbeitslose und Studenten beiwohnten, um ihren Unmut Luft zu machen, insgesamt zwischen 7000 und 10000 Personen. Die Demonstrationen werden ein Sprachrohr für die allgemeine Unzufriedenheit und schwappen ebenso in andere größere Städte von BiH über. Seit dem 5.6.2013 ist der Platz vor dem Parlament täglich von Bürgern besetzt, ein gesellschaftskritischer Treffpunkt geworden.
Christoph Schneider
na podstawie postów Się dzieje, czyli demonstracje i blokada parlamentu w Sarajevie i Bebo-rewo-lucja

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